Der Fidus-Verlag: Die Geschichte der Kunstkarten

Der folgende Text ist mittlerweile knapp 2 Jahre alt und wird vermutlich in einer abgeänderten Form seinen Einzug in eine Publikation finden. Aus Dokumentationszwecken sei hier das Original, welches ich letztlich nur für mich schrieb, gesichert. 

 Das „Lichtgebet“ ist zweifelsohne das bekannteste Werk, das Fidus schuf. So betonte Karlheinz Weißmann in einem Artikel über „Die Ikonen der Jugend“, welche empathische Wirkung das Bild zu damaligen Zeiten auf die Jugend ausübte. Folgerichtig subsumierte er die Sinntiefe der Darstellung durch die Schlüsselbegriffe: „Lebensglaube – Schönheit – Jugend.“ In den Jahren von 1890 bis 1938 entstanden so elf Fassungen des „Lichtgebets“ aus Fidus Hand, indessen er selbst bereits 1926 in einem Brief erwähnte, der ständigen Anfragen überdrüssig zu werden. Doch auch der Vertrieb von Duplikaten, welcher in Form der bekannten Drucke und Kunstkarten realisiert wurde, steigerte die Popularität zunehmend. So erklärt sich auch die Äußerung eines Pfarrers, der mutmaßte, es hinge in jedem zehnten, bürgerlichen Wohnzimmer das „Lichtgebet“.
Diese steigende Nachfrage um die Fiduskunst, welche sich mehr und mehr - und vor allem - in der Jugend wiederfand und manifestierte, ließ den Schritt eines Publikationsorganes nur logisch erscheinen. Den Grundstein für den Vertrieb und die Verbreitung legte die Verlagsgründung des St. Georgs-Bundes von 1912, der, neben den hauseigenen Flugblättern und Mitteilungen, eben auch eine Vielzahl unterschiedlicher Reproduktionen der Fidus-Werke feilbot. Im folgenden Jahr erschien daraufhin das erste Verlagsverzeichnis, das - unter der Zuarbeit und späteren Schirmherrschaft durch Fidus - das Verlagsprogramm stetig erweiterte und ausbaute. 1924 formierte sich der Verlag zu einer GmbH, um letztlich 1927 seine Umbenennung in die Fidus-Verlag GmbH zu vollziehen. Als angeführter Grund, der die namentliche Neugestaltung rechtfertigte, verweist eine Werbekarte von 1927, auf der es unter anderem heißt, daß sich die hauptsächlich angebotene Fiduskunst auch im Namen des Verlages widerspiegeln soll, und zudem, daß der Verlag durch den Namensgeber die geistige Stoßrichtung für eventuelle Erweiterungen erhalte. Hinter verschlossener Tür führte vermutlich eher das Ausscheiden von Getrud Prellwitz aus dem St. Georgs-Bund zur Umbenennung. Diese hatte sich, noch 1912 eine der Mitbegründerinnen des St. Georgs-Bundes, um 1920 mehr und mehr aus dem Fidushaus, in dem sie seit dem Bestehen als ständiger Gast galt, nach Oberhof (Thüringen) zurückgezogen und ebenfalls einen eigenen Bund (Das Maienwerk) mit angegliedertem Verlag gegründet. Spätestens ab diesem Punkt zeichnete sich Fidus als hauptverantwortlich für den St. Georgs-Verlag und übernahm alle entscheidenden Tätigkeiten. Diese Aufgabe hatte ihn zeit seines Lebens gefesselt und fast völlig in Anspruch genommen. Das künstlerische Fluidum tränkte auch die kleinsten Verlagstätigkeiten und sollte dafür Sorge tragen, daß er, wie es Adalbert Luntowski (auch Adalbert Reinwald) formulierte: „mit heißem Bemühen das Wurzelwerk seines Werdens in die Ewigkeit schlagen will.“
 Die Kunstkarten seines künstlerischen Schaffens, welche bis in die heutige Zeit in großer Zahl vorhanden sind, bieten dafür eine hervorragende Basis, da mittlerweile auch die großformatigen Drucke seiner Werke rar geworden sind. Vielmehr muß sogar angebracht werden, daß es ohne die vielfache Reproduktion seiner Bilder - in der Form der bekannten Kunstkarten - einen kaum noch sichtbaren Überblick über das Gesamtwerk des Künstlers gäbe. Eine große Anzahl der bekannten Fidus-Werke wäre andernfalls wohl nur namentlich bekannt. So konstatierte bereits Ute Wermer in der Publikation „Fidus – Exlibris und Illustrationen“, das ein Gros der Bilder der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich ist, da sie bei ihren Käufern und Auftraggebern verblieben, die sich über die ganze Welt verteilen. Eine Verortung der Werke ist heutzutage kaum noch zu bewerkstelligen, insofern sie überhaupt in den Wirren des 2. Weltkrieges nicht verloren gingen oder gar zerstört wurden. Umso wichtiger scheint es vor diesem Hintergrund, der Nachwelt die Möglichkeit zu bieten, sich einen Eindruck über das Œuvre von Fidus zu machen, einem Künstler, der in seiner Lichtgläubigkeit zwar den einen oder anderen Schatten warf, dem aber unbestritten auch eine Strahlkraft innewohnte, die in andere Welten entführen wollte. Mit den hauseigenen Kunstkarten, die die stattliche Zahl von 200 überschreiten, und allen, dem Autor bekannten verlagsfremden Karten, soll dieses Vorhaben an Gestalt gewinnen. Es darf weiterhin nicht vergessen werden, daß selbst die jüngsten im Verlag erschienenen Kunstkarten bereits knapp 80 Jahre zählen und die Zeit unwiderrufliche Schäden an diesen verursacht hat, ohne daß sie bis dato in ihrer Gesamtheit digitalisiert wurden. Dieser Umstand darf ebenfalls als Antriebsfeder verstanden werden, weshalb die vorliegende Arbeit entstanden ist. 

Fidus, der Verleger 

Die Verlagstätigkeit, der sich Fidus mit dem Jahre 1912 mehr und mehr verschrieb, verwob sich 32 Jahre lang mit seinem Leben, dem Fidushaus und allen darin lebenden Personen. Dieses zeitliche Fenster markiert indes historische und persönliche Ereignisse im Leben von Fidus, die einen unmittelbaren Einfluß auf den Verlag und sein Schaffen auswirken sollten. In einer synoptischen Tabelle, die Frecot, Geist und Kerbs vorlegten, wird veranschaulicht, wie sich die bildnerische Tätigkeit und die Verlagstätigkeit in den Jahren entwickelte, wie Krieg, Inflation, Weltwirtschaftskrise, Machtergreifung, aber auch die 2. Heirat eine direkte Auswirkung auf Fidus‘ Schaffen ausübten. So läßt sich knapp resümieren, daß es mit der Verlagsgründung 1912 zu einem Rückgang neuer Bildwerke kam, währenddessen die Tätigkeiten um den Verlag stetig ausgebaut wurden.
Das Kerngeschäft des Verlages lag dabei in der Reproduktion der Fiduskunst. Neben den Kunstkarten gehörten dazu auch großformatige Drucke, die in verschiedenen Druckverfahren hergestellt wurden und ebenfalls in überarbeiteter Form erworben werden konnten. Etwas spöttisch formulierten es Frecot, Geist und Kerbs: “Der Großbürger kauft das Original-Ölbild, die Mittelklasse die großformatige, vom Meister selbst überarbeitete und unterschriebene Farbreproduktion, der Proletarier, der Schüler, der Wandervogel allenfalls den Kohledruck, sicher aber die Postkarte.“ Hier formiert sich also ein Kritikpunkt um Fidus, der sich häufig bei Frecot, Geist und Kerbs wiederfinden läßt. In erster Linie bemängelten die Autoren den Rückgang seiner Schaffenskraft, indessen die Reproduktionen stiegen. Des Weiteren kritisierten Sie den Verkauf „billiger Drucke“ und behaupteten, Fidus hätte dies sogar „zu verschleiern versucht“. In einem Brief, den Fidus am 05.02.1901 verfasste und in dem er auf eine Anfrage reagierte, führte er bereits 11 Jahre vor der Verlagsgründung folgendes auf:
„Um Ihrem Wunsche nach Möglichkeit zu entsprechen, habe ich folgenden mich jetzt gerade zum Ausspruch drängenden Gedanken aufgeschrieben. Es ist jedenfalls wichtiger als Verse, zu denen ich niemals Lust und Geschick gehabt habe. Zeichnungen dagegen möchte ich nur im ausgereiften Zustande von mir geben - dann aber auch gleich in Jedermann zugänglicher Reproduktion - zu welchem „Zwecke“ sie auch meist gemacht wurden. So sehr bin ich gegen den „Privatbesitz“.“
In aller Deutlichkeit spricht sich Fidus hier gegen den Verbleib seiner Kunst im Privaten aus, wenn diese nicht in der Reproduktion für die Allgemeinheit zugänglich bleibt. Der Wille zur Vervielfältigung seines Werkes kann also nicht nur als eine treibende Kraft hinter der Verlagsgründung verstanden werden, sondern auch als eine Notwendigkeit, die aus dem Drang resultiert, die Dinge in die eigene Hand nehmen zu wollen und nach den eigenen Vorstellungen gestaltend wirken zu können. So erwähnt er beiläufig im selben Brief, daß sich erst jetzt ein verlegerisches Entgegenkommen einstellte, und zukünftig Mappen und Sammelwerke in den Handel kommen werden. 11 Jahre später kann und wird er die Replikation seiner Kunst selbst steuern und lenken, ohne auf ein entsprechendes Echo eines Verlegers hoffen zu müssen. Die Ablehnung durch „Offizielle“, wie Fidus es auf seiner Kunstkarte 68. „An der Schwelle“ schrieb, scheint dabei ein bestimmendes Moment in seinem Leben zu sein, das ihn auch 40 Jahre nach dem zitierten Brief noch beschäftigt. Die Karte läßt sich ungefähr auf 1941 datieren und thematisiert den Tod Fritz Heyders und die damit einhergehende Verweigerung seiner Werke für den Kalender „Kunst und Leben“ durch die neue Jury, welche nun die Auswahl trifft.
Die Segmentierung seines potentiellen Kundenstammes, also die Ermöglichung, allen Schichten ein erschwingliches Replikat bieten zu können, muß in diesem Kontext ebenfalls als ein Versuch verstanden werden, die Kunstwerke für jedermann zugänglich zu machen. Nicht anders sind die Zeilen zu verstehen, die Jakob Feldner im Juli 1922 in einem Flugblatt „An unsere Freunde!“ verfasste:
„(…) Unter anderem wurden in hunderttausenden von Bildkarten die Werke jenen Menschen, insbesondere der nach geistigen Werten ringenden Jugend, zugänglich gemacht, die sich aus wirtschaftlichen Gründen große Bildausgaben nicht verschaffen konnten.“ 
Inwiefern es sich dabei um die besagten „billigen Drucke“ handelt, verliert sich nicht nur vor dem Hintergrund, da durch Frecot, Geist und Kerbs kein logischer Zusammenhang aufgebaut wurde, der so ein Urteil zuläßt, sondern auch durch Äußerungen, in denen sie selbst einräumten, daß die Einnahmen des Verlages die Ausgaben nur minimal übertrafen. Nicht besser stand es generell um die finanzielle Lage des Fidushauses. Franz Bernoully gehörte wohl zu den wenigen Personen um Fidus, die über ein Privatvermögen verfügten. So war er es auch, der als Financier die Idee eines Verlages in die Wirklichkeit transportierte. Es muß davon ausgegangen werden, daß durch seinen Tod im 1. Weltkrieg - er wurde bei Bielsk am 27. August 1915 schwer verwundet und verstarb 5 Tage darauf in Stettin - ein wichtiger, möglicherweise sogar der einzige Geldgeber entfiel, der über eventuelle finanzielle Engpässe in der Verlagstätigkeit hätten hinweghelfen können. Daß es diese Engpässe und eine finanzielle Not zweifelsohne gab, geht nicht nur aus dem Buch Rainer Y’s „Fidus, der Tempelkünstler“ hervor, worin er sich auf eine persönliche Mitteilung von Frau Annemarie Höppener-Fidus (die Schwiegertochter von Fidus) beruft, die schilderte, es gelang einzig in den 20er Jahren durch den Verkauf von Replikationen die schwierige finanzielle Lage zu bessern. Auch Jost Hermand bemerkt in seinem Buch „Der Schein des schönen Lebens“, daß Fidus um 1929, im Zuge der Weltwirtschaftskrise, über keinerlei finanzielle Mittel verfügte, und diese Situation sich 1934 kaum merklich gebessert hätte, wie Fidus es in einem Brief aus diesem Jahre erwähnte. Das Jahr 1937 markierte den endgültigen Tiefpunkt der Einnahmen und ging mit einem Verkaufsverbot der Fidusdrucke durch die führende Kräfte des 3. Reiches einher. Doch bereits im Februar 1915 schrieb Fidus dazu:
„Die Sprödigkeit der kaufkräftigen Welt und Öffentlichkeit gegen meine größeren, meist >>heiklen<< und >>problematischen<< Bilder oder Bildentwürfe, sowie mein Bedürfnis, solche wenigstens inhaltlich recht weiten Kreisen zugänglich zu machen, hat mich so sehr auf den Weg des Druckes und seiner Verbreitung gebracht, daß ich meine Bildmotive meist nur soweit und so groß ausführte, daß sie der tonigen oder farbigen Wiedergabe die bequemste und rascheste Unterlage böten. (…)“
Es scheint, als hätte Fidus versucht aus der Not eine Tugend zu machen, sich durch den Verlag seine Existenz zu sichern, während die Verkäufe der Originale soweit abebbten, so daß mit den Reproduktionen zumindest eine Einnahmequelle erschlossen werden konnte, die ein Minimum an Lebensstandard garantierte. Aus diesem Kontext heraus läßt sich verstehen, mit welchem Eifer und mit welcher Hingabe er sich dem Verlag verschrieb, war mit ihm doch nichts Geringeres als sein tägliches Brot verknüpft.

Die Verlagstätigkeit um die Kunstkarten

Die Produktion der Kunstkarten, die zur Haupteinnahmequelle des Verlages zählte, füllte einen Zeitraum, der 1913 mit der „Schwertwache“ und dem „Lichtgebet“ begann, und mit dem „Haupt des Führers“ um 1941 endete. In diesen knapp 30 Jahren wurden über 200 Kunstkarten im Eigenverlag produziert. Dabei dominierte in den Anfängen das Verfahren des Lichtdruckes, das später durch den Bromsilberdruck fast vollständig ersetzt wurde. Weiterhin erschienen vereinzelt Kunstkarten als Zinkdruck und als Farbdruck. Der Produktionszeitraum läßt sich indes in zwei Phasen unterteilen, wobei die erste Phase, die sich auf die Jahre von 1913 bis ca. 1916 erstreckt, mehr oder minder als eine Versuchsphase verstanden werden kann, in der zwar bereits erste Kunstkarten in Reihe produziert wurden, das Gesamtkonzept zur Abbildung des Œuvres hingegen noch auf sich warten ließ. Erst in der zweiten Phase, die von 1917 bis 1941 reichte, wurde das Angebot der Kunstkarten nicht nur ausgebaut, sondern auch weiterentwickelt, während sich eine Professionalisierung einstellte und mehr und mehr systematisch gearbeitet wurde, so daß sich das Gesamtkunstwerk in den Kunstkarten widerspiegelte.
 
Die ersten Versuche 1913 bis ca. 1916

Zwar stellten die Kunstkarten in den Anfangsjahren des Verlages nur einen kleinen Teil des gesamten Verlagsprogrammes dar, doch wuchs der Bestand stetig. Die Karten der ersten Jahre wurden fast ausschließlich in der Form des Lichtdruckes reproduziert. Einzig das „Lichtgebet“ war bereits als Farbdruck zu erwerben. Um ein geschlossenes Programm darstellen zu können, wurden sie im Laufe dieser Zeit auch erstmals nummeriert. Da alle Kunstkarten des Zeitraumes von 1913 bis ca. 1916 auch im späteren Verlagsprogramm auftauchen, sowohl im Motiv als auch im Druckverfahren, wird auf eine Abbildung dieser im Folgenden verzichtet.
Als erste, verlagseigene Kunstkarten erschienen noch ohne Nummerierung (soweit dem Autor bekannt):

Lichtgebet (Farbdruck)
Schwertwache (Lichtdruck)
Mitteilung (Lichtdruck)
Frühlingslust (Lichtdruck)
Sommerwonne (Lichtdruck)
Herbstliche Last (Lichtdruck)
Winterfreude (Lichtdruck)

Es folgten die ersten nummerierten Kunstkarten, die mit dem Kürzel No. und einer fortlaufenden Nummerierung bis No. 20. im Verlag erschienen. Frecot, Geist und Kerbs, die die Verlagsarbeit chronologisch erfassten und ebenfalls die Kunstkarten nach ihren Erscheinungsjahren aufschlüsselten, verorteten die Produktion der ersten Karten in Serie hingegen im Jahr 1918, unter denen sich ebenfalls die ersten Bromsilberdrucke befanden.  Damit lagen Sie sichtlich falsch, was durch die erste Reihe der Kunstkarten verifiziert werden kann. Der Druck der ersten Bromsilber-Kunstkarten wurde erst im Jahre 1921 realisiert.

No. 1. Lichtgebet (Farbdruck)
No. 2. Germania 1914 (Lichtdruck)
No. 3. Schlittschuhläufer (Lichtdruck)
No. 4. Auf der Klippe (Lichtdruck)
No. 5. Schwertwache (Lichtdruck)
No. 6. Dämmerwellen (Lichtdruck)
No. 7. Birkenmärchen (Lichtdruck)
No. 8. Beethoven (Lichtdruck)
No. 9. Vom Himmel (Lichtdruck)
No. 10. Lianenschaukel (Lichtdruck)
No. 11. Beichte (Lichtdruck)
No. 12. Mitteilung (Lichtdruck)
No. 13. Frühlingslust (Lichtdruck)
No. 14. Sommerwonne (Lichtdruck)
No. 15. Herbstliche Last (Lichtdruck)
No. 16. Winterfreude (Lichtdruck)
No. 17. Wasserrosen (Lichtdruck)
No. 18. Du sollst nicht töten! (Lichtdruck)
No. 19. Sonnenblumenelfen (Lichtdruck)
No. 20. Sag‘ kleines Tier (Lichtdruck)

Die aufgezählten Karten lassen sich in ihrer Entstehung auf einen Zeitraum zwischen 1913 bis 1916 datieren. Denn im Jahre 1916 (März) fiel die Entscheidung zur endgültigen „Neu-Bezählung“ der verlagseigenen Kunstkarten, die bis zum Ende des Verlages im Jahre 1944 ihre Gültigkeit beibehalten sollte und sich an der bereits 1914 getroffenen Nummerierung (bis auf minimale Änderungen) der Kohle-Photographien orientierte. Die Kartenserie No. 1. bis No. 20. verstand sich verlagsintern jedoch als ein chambre particulière, derwegen eine eigenständige Nummerierung vorgenommen wurde. Für die Verwerfung der Serie, hin zur Eingliederung in das bereits vorhandene System, mag der Erfolg verantwortlich sein, der sich im Kunstkarten-Verkauf einstellte. Nicht nur, daß bereits 1916 eine 3. Auflage der Karten erreicht wurde, die sich in einer jeweiligen Auflagenhöhe um mindestens 1000 einpegelte, war es zudem der Logik geschuldet, einem Werk nicht mehrere Nummern zuzuordnen, um eine mit der Nummer verknüpfte Duplikationsform zu erwerben. So war es sinniger, den Irritationen um die Mehrfachbenummerung vorzubeugen und die Kunstkarten in das laufende Geschäft der Replikation einzugliedern.   
Die nun ab März 1916 entstandenen Karten bilden noch eine Zwischenphase ab, in der die fortlaufende Nummer durch ein vorgesetztes P. ergänzt wurde. Zwar liegt dem Autor als Kunstkarte die Nummer P. 54., „Michael-Antlitz“ vor, es ist allerdings zu bezweifeln, daß in dieser Phase der Produktion wirklich die Karten P. 1. bis P. 54. (und möglicherweise darüber hinaus) lückenlos gedruckt wurden - also mindestens 54 an der Zahl. Man kann eher davon ausgehen, daß es zwar zum Neudruck einiger Motive aus der Reihe No. 1. bis No. 20. unter der neuen Nummerierung kam, insofern diese vergriffen waren, indessen wenig neue Motive zusätzlich zum alten Bestand gedruckt wurden. Es sind bekannt:

P. 3. Vom Himmel (Lichtdruck)
P. 5. Birkenmärchen (Lichtdruck)
P. 11. Sonnenblumen-Elfen (Lichtdruck)
P. 16. Beethoven (Lichtdruck)
P. 29. Auf der Klippe (Lichtdruck)
P. 31. Dämmerwellen (Lichtdruck)
P. 34. Schlittschuhläufer (Lichtdruck)
P. 40. Frühlingslust (Lichtdruck)
P. 41. Sommerwonne (Lichtdruck)
P. 42. Herbstliche Last (Lichtdruck)
P. 43. Winterfreude (Lichtdruck)
P. 46. Germania 1914 (Lichtdruck)
P. 47. Lianenschaukel (Lichtdruck)
P. 48. Beichte (Lichtdruck)
P. 50. Wasserrosen (Lichtdruck)
P. 51. Du sollst nicht töten (Lichtdruck)
P. 52. Sag‘, kleines Tier…? (Lichtdruck)
P. 54. Michael-Antlitz (Lichtdruck)

Die Hauptphase 1917 – 1941

Das Zerwürfnis der P.-Serie, die nicht länger als bis 1917 aufrechterhalten wurde, also gerade einmal ein gutes Jahr zählte, liegt in seiner Ursache hinter Nebelschwaden. Mit dem Jahr 1917 erschienen nun die ersten Kunstkarten des Verlages, die in ihrer Nummerierung und Beschreibung eine zumindest gleichbleibende Systematik und Struktur aufwiesen, welche bis zum Ende der Verlagstätigkeit beibehalten werden sollte. Zu Irritationen in der Betrachtung und Rekonstruktion führte hingegen die Umstellung auf den Bromsilberdruck vieler Kunstkarten im August 1921. Oder besser: Es ist kaum bekannt, daß ein Gros der Kunstkarten sowohl in Form des Lichtdruckes als auch in Form des Bromsilberdruckes erschien, weshalb es vermutlich zu der fehlerhaften Betrachtung bei Frecot et. al. kam. Dem zuträglich ist der Umstand, daß Fidus, nachdem er das Verfahren des Bromsilberdruckes für sich entdeckte, alle potentiell geeigneten Kunstkarten, die noch in der Form des Lichtdruckes vorlagen, austauschte, ohne daß die „veralteten“ Lichtdruckkarten noch ein einziges Mal beworben wurden. Er schien völlig überzeugt vom Bromsilberdruckverfahren, das ihm - im Vergleich zum Lichtdruck - eine photorealistischere Abbildung seiner Kunst ermöglichte und zudem seinen Anspruch befriedigte, ein einheitliches System in der Wiedergabe zu realisieren. Das Verfahren des Lichtdruckes wurde lediglich beibehalten, insofern das Motiv nicht das Stadium einer Bleistift- oder Kohleskizze überschritt.
Hier trat nun deutlich jener Fidus zutage, der als „Künstler dem Unternehmer im Wege stand“ und „mehr komponierte als organisierte“. So läßt sich das Geflecht um die Komposition der Kunstkarten sichtlich schwer durchschauen, unterlagen sie doch einem ständigen Wandel, der sich unter anderem sehr gut im Text der Anschriftseite der Karten widerspiegelt. Die Akribie, mit der Fidus nicht nur diesen Informationstext ergänzte, um  ihn dann an einem späteren Zeitpunkt wieder zu kürzen, oder die Darstellung der Kunstkarten stetig zu bessern und nach seinen Vorstellung zu optimieren versuchte, so daß die Feinheiten mehr herausgearbeitet wurden, war mit einem Aufwand verbunden, der das Unermeßliche anzunehmen vermochte. Möglicherweise waren es somit rein ästhetische Aspekte um den Informationstext der Anschriftenseite, der Fidus bewog, die P.-Serie zu verwerfen. Anbei mußten die Klischees und die Glasnegative hergestellt werden, die man als Grundlage zur Vervielfältigung der Kunstkarten benötigte, Muster wurden angefordert, Farbproben geprüft Druckaufträge erteilt. Einzig der organisatorische Arbeitsaufwand für den Druck einer einzelnen Kunstkarte war bereits immens, indessen Fidus‘ Drang nach Perfektion dieses zeitliche Fenster grenzenlos auszudehnen vermochte. Dabei schien es ihm sichtlich schwer, die Vorgänge der Produktion, wie auch deren Auslösung und Kontrolle, aus den Händen zu geben. Nichts, daß nicht im Vorfeld seinem prüfenden Blick unterlag, damit der Meister sich vergewissern konnte, ob sich die Umsetzung mit seinen Vorstellungen deckungsgleich verhielt. Erst dann, wenn Fidus rundum zufrieden war, wurde die Kunstkarte zum Druck freigegeben. Die Höhe einer Auflage lag bei ca. 2000 Stück, wie man es dank einiger Notizen auf den entsprechenden Karten in den Archiven der Berlinischen Galerie und der Burg Ludwigstein nachlesen kann. Schwieriger ist es hingegen, abzuschätzen, wie viele Auflagen einer Karte in dieser Phase produziert wurden (dazu später mehr), und inwiefern die Auflagenzahl von 2000 eine feste Größe darstellte. Die Warenbestände des Verlages, die zwar nicht vollständig vorhanden sind, legen jedoch nahe, daß die Auflagenhöhe beibehalten wurde, selbst wenn in den Beständen natürlich keine Ein- und Ausgänge der Kunstkarten wiedergegeben werden. In den Tagebüchern findet sich lediglich ein Vermerk von 1919, in dem Fidus notiert, das Lichtgebet wurde als Lichtdruck in einer Stückzahl von 50000 geordert. Das dürfte aber die Ausnahme geblieben und der Wichtung schuldig sein, die mit diesem Motiv einherging. Die Warenbestände ermöglichen indes einen Einblick, welche Dimension die Produktion der Karten als Ganzes annahm und wie sich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten widrige Umstände für das Geschäft einstellten.

Der Informationstext der Anschriftseite als Wegepunkt 

Anhand des Informationstextes der Anschriftseite lassen sich indes weitere Punkte verorten, die für die Produktion der Kunstkarten von Belang sind. So versuchte Fidus zwar sichtlich bemüht, den Kunstkarten eine auf dem Informationstext fußende Systematik zu verleihen, doch auch hier bestimmen Ausnahmen die Regel. Die seit 1916 eingeführte „Neubezählung“ der Karten wird in der hiesigen Phase zwar weiterhin beibehalten, jedoch ohne das noch im Vorfeld vorgesetzte P. geführt. Es folgen im Text der Name und die weiteren Druckvarianten der Abbildung, wobei sich das Angebot und die Preise stetig änderten, was natürlich auch dem historischen Kontext geschuldet war. Die Betitelung der Werke ist ebenfalls nicht beständig. Spätestens ab 1926, wie es in einem Werbeprospekt aus jenem Jahre vermerkt wurde, wird im Informationstext der Anschriftseite zusätzlich das Erscheinungsjahr der Abbildung ergänzend aufgeführt. Eine allgemeine Gültigkeit ist jedoch auch hier nicht gegeben, finden sich weiterhin Kunstkarten, die ohne das Jahr der Entstehung vorkommen. Es folgen die verschiedenen Druckvarianten, die neben der Kunstkarte zu erwerben sind. Den Abschluß des Informationstextes nimmt die Verlagsbezeichnung ein, die sich wie folgt chronologisch darstellen läßt:

Verlag des St. Georgs-Bundes (1918-1924)
Verlag des St. Georgs-Bundes GmbH (1924-1927)
Fidus-Verlag GmbH (vormals Verlag des St. Georgs-Bundes) (1927-ca.1937)
Fidus-Verlag GmbH (ca.1927-1937)
Fidus-Verlag (1937-1944)

Der zeitliche Rahmen, in dem die jeweilige Verlagsbezeichnung genutzt wurde, läßt sich partiell nur schätzen. Während sich die Jahresspannen unter dem Verlag des St. Georgs-Bundes noch sehr genau ausmachen lassen, kann beim Fidus-Verlag nur eine ungefähre Wirkspanne erahnt werden. Es ist heute nicht mehr rekonstruierbar, ab wann sich Fidus entschied, anstelle der Bezeichnung „Fidus-Verlag GmbH (vormals Verlag des St. Georgs-Bundes)“ nur noch die „Fidus-Verlag GmbH“ im Informationstext zu führen. Vermutlich wurde der in Klammern gefasste Vermerk auf die ursprüngliche Bezeichnung des Verlages nur übergangsweise und für eine kurze Zeit genutzt. Weiterhin ist lediglich davon auszugehen, daß durch die Umwandlung des Fidus-Verlages (GmbH) in eine OHG (1937) nur noch die Bezeichnung „Fidus-Verlag“ genutzt wurde.
Jedwede Änderungen am Informationstext, seien es der Preis, die Variantenvielfalt der Drucke oder Grundlegendes, wurde im Fidushaus beraten, schreibt Fidus in seinem Tagebuch von 1919 nieder. Die Bearbeitung beziehungsweise die Korrekturen der Texte hingegen nahm Fidus selbst handschriftlich auf den Karten vor.
Dies geschah jedoch nicht auf einer einzigen Karte, die dann maßgeblich für alle anderen stand, nein, Fidus änderte den Text auf jeder Karte, auch wenn die Korrektur inhaltlich ein und dasselbe war. Im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf der Burg Ludwigstein finden sich unzählige Kunstkarten, die mit einem „Muster“-Stempel und mit den handschriftlichen Änderungen für kommende Druckaufträge versehen sind. Bei auflagenstarken Kunstkarten wie dem „Elfenwanderer“, der ursprünglich noch mit dem Titel „Als ich die weissen Schleier sah“ geführt wurde, lassen sich bis zu 13 Änderungen im Informationstext der Anschriftseite ausmachen.
Es fällt zudem auf, daß etwaige Druckfehler und -schwächen der Informationstexte sich gleichen, insofern sie identisch sind. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß die Karten aus ein und demselben Druckauftrag stammen. Ferner taucht ein entsprechender Text einer Kunstkarte immer mit den gleichen Fehlern und Schwächen im Druck auf, so daß gemutmaßt werden kann, jeder neue Druckauftrag erhielt auch eine entsprechende Änderung des Anschriftseitentextes. Dafür sprechen ebenfalls die minimalen Abweichungen des abgebildeten Werkes von Text zu Text, daß mit jeder neuen Auflage auch eine wieder gebesserte Filterung der Bildwiedergabe einherging. Fidus selbst vermerkte mehrfach auf den Kunstkarten-Proben, die er anforderte, bevor er eine Bestellung der Karten bei den Druckeinrichtungen auslöste, ob er mit der vorgenommenen Filterung zufrieden war, mit der sich beim Verfahren des Bromsilberdrucks die Feinheiten der Bilder optimieren ließen.

Die entstandenen Kunstkarten von 1917-1941

Fidus, der die im Verlag erschienenen Duplikate seiner Werke ab 1916 (neu und endgültig) nummerierte, tat dies in der Voraussicht des noch Kommenden. In das Nummernsystem wurden neben den verschiedenen Kunstwiedergaben einzelner Motive auch Mappenwerke aufgenommen. So wurde das vermeintlich geschlossene und durchnummerierte System der Kunstkarten durch einige Lücken zersetzt, die anderen Formaten vorbehalten blieben. Zudem gesellen sich gerade in den letzten Jahren des Verlages  Nummern in das System, die nie einem Werk zugeteilt wurden. Die Verlagsnummerierung reichte zwar von 1. (Schwertwache) bis 256. (Das Haupt des Führers), es wurden jedoch nie 256 verschiedene Motive, in all ihren möglichen Spielformen (Kohle- und Farbdruck, Kunstkarte etc.), angeboten. Die Unverdaulichkeit von Fidus für die Machthaber des 3. Reiches, das auferlegte Verkaufsverbot und letztlich der Ausbruch des Krieges mögen die Verursacher sein, die dazu führten, daß nicht nur die Verlagstätigkeit erlahmte, sondern auch die Indifferenz in der Nummerung auftrat, möglicherweise geplante Werke der Reproduktion nie zugeführt.

Nun wären alle Kunstkarten abgebildet worden, aber das vielleicht an anderer Stelle. 

Gunnar Finder / Eberswalde / klangheimlicher 09.04.2018 

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